Architectural Misfits [AM]
Im Rahmen des diesjährigen EP2 ParaSite – Architectural Misfits beschäftigten wir uns mit der Frage, wie wir mit der wertvollen Ressource Leerstand und mit Bestandsgebäuden im städtischen Kontext umgehen sollen. Wir fragten uns, wie Agency (Handlungsfähigkeit) und die politische Relevanz der Architektur zurückgewonnen werden können, um gesellschaftliche Veränderungen durch Architektur zu ermöglichen und tradierte und unterdrückende Strukturen nicht immer wieder zu reproduzieren.
Mit ParaSite wollen wir einen künstlerischen/architektonischen Zugang zu den Fragestellungen des Reparierens und Fixens, zu Suffizienz und Pluralität sowie zu Störung und Anpassung finden.
Können wir Strategien im kleinen Maßstab in spezifischen Kontexten entwickeln, die für größere Herausforderungen nutzbar gemacht werden? Finden wir im Lokalen das Globale und vice versa? Unser Ansatz setzt auf die Fähigkeit des Parasiten, geschickt zwischen Anpassung und Störung zu balancieren, und auf das Konzept des Reparierens. Es geht darum, in die Gebäude einzudringen, sie parasitär zu besetzen, neue Narrative zuzulassen und neue Perspektiven des Wahrnehmens und Handelns zu erschließen.
“Das können wir als eine Art Reparatur betrachten, nicht aus dem Blickwinkel des alten, sondern eines neuen Ordnungsprinzips” (Olufemi O. Taiwo im Gespräch mit Alex Nehmer und Markus Krieger, “Wir müssen materialistisch ansetzen!”, Arch+, Ausgabe 250, 2022).
Mit der Strategie des Parasiten beziehen wir uns auf Michel Serres und sein Buch “Der Parasit”. Er untersucht die Rolle des Parasiten als Störfaktor und Vermittler in sozialen Systemen. Serres argumentiert, dass der Parasit nicht nur schädlich, sondern auch kreativ und notwendig für Innovation und Evolution ist. Er zeigt, wie der Parasit bestehende Strukturen durchbricht und neue Formen des Denkens und Handelns ermöglicht.
“Aber war dies Geräusch wirklich eine Botschaft? War es nicht vielmehr ein Rauschen, ein Parasit? Wer hat hier am Ende das letzte Wort? Wer sät Unordnung, wer stiftet eine neue Ordnung?” (Michel Serres, Der Parasit, Rattenmahlzeit, Kaskade, S.11)
Auch nach Jacques Rancière spielt die Störung eine zentrale Rolle in der demokratischen Praxis. Rancière sieht Demokratie als das Auftauchen von Dissens und Störungen in einem bestehenden Konsens. Für ihn ist wahre Politik die Unterbrechung der vorherrschenden Ordnung durch die Stimmen und Handlungen derjenigen, die normalerweise ausgeschlossen oder übersehen werden. In der Ästhetik betrachtet Rancière Störungen als Mittel, um etablierte Wahrnehmungsweisen und Denkmuster zu hinterfragen und zu verändern. Kunst hat die Fähigkeit, das Unsichtbare sichtbar und das Ungehörte hörbar zu machen, indem sie die normale Ordnung der Wahrnehmung stört.
“In dieser etwas unscharfen Kulturwelt ist ein Parasit ein Gast, der die Gastfreundschaft mißbraucht, ein unvermeidliches Tier und die Störung einer Nachricht.” (Michel Serres, Der Parasit, Rattenmahlzeit, Kaskade, S.11)
Die entstandenen Projekte umfassen unter anderem die Untersuchung aktivistischer Interventionen im Kontext von Protest- und Squatterarchitektur, das Missverstehen und Fehlinterpretieren von Ästhetiken und visueller Sprache urbaner Milieus, Verwilderung als Reparaturmaßnahme für eine petromaskuline Gesellschaft oder die Revitalisierung “zerstörter” Räume zu öffentlichen Küchen im Kontext eines materialistischen Feminismus.
CINEPLEXX, PARKGARAGE MARKTPLATZ, NEOBAROCKSAAL HOTEL EUROPA, CAFE SONNPARK, Kaufhaus Lamarr, Maria-Theresianische Normalschule, BP Tankstelle Höttinger Au, Hämmerle Villa
Die Arbeiten widmeten sich einer intensiven Untersuchung der Materialität und Historie der Gebäude und betrachtet die Adaptierung, Sanierung und Umnutzung entlang der Konzepte Repair und Störung.
./studio 3: Lino Lanzmaier, Teresa Stillebacher
Studierende: Aline Krabacher, Anna Gläser, Hans-Peter Bremm, Hana Muzaferovic, Katharina Rauch, Lilly Moosmann, Leon Stofft, Sofie Novaresi
Des Parasiten-Parasit positioniert sich als ein investigatives und aktionistisch-performatives Projekt und nicht als ein klassisches Entwurfsprojekt. Es zielt darauf ab durch investigative Methoden und performative Aktionen auf gesellschaftliche und politische Themen aufmerksam zu machen und zitiert Techniken und Ästethiken der Protestarchitektur. Um über die konventionellen Grenzen der Baukunst hinauszureichen und einen Blick auf die Dynamik zwischen Schöpfung und Zerstörung, Anpassung und Störung zu werfen, beginnen wir Gebäudebestand als Grundlage für sozio-ökonomische Transformation zu begreifen und wollen mit aller Vehemenz unterbinden, dass durch Spekulation getriebener Abriss und Ersatzneubau unser gebautes Umfeld und die Ideologie der Gesellschaft prägen. In seiner Essenz soll es die Idee eines transformierenden Aktes verkörpern, der nicht nur das Vorhandene in Frage stellt, sondern auch einen neuen Raum für Reflexion und Innovation schafft – die parasitäre Praxis.
die Herangehensweise
Die Bauruine, ein Ort an dem verfehlte Machtverhältnisse sichtbar werden, soll eine Wiederaneignung durch die Bevölkerung erfahren. Um den Investoren- und Spekulationszyklus zu durchbrechen, bedarf es Maßnahmen zur Destabilisierung von Machtverhältnissen. Durch permanentes Abwerten und erzeugen von Baumängeln verliert die Immobilie ihren Wert.
1. Akt: VERSAMMELN
2. Akt: BAUEN
3. Akt: LEBEN / STANDHALTEN
Die Protestarchitektur wird vorangetrieben und durch einen zweiten Layer gestützt. Die Verzögerungsarchitektur. Barrieren werden produziert, die Akteure werden lauter, der Parasit größer.
4. AKT: das ZIEL, oder Res Nullius
Des Parasiten-Parasit Effekt, nämlich das Herrenlose Gut, das res nullius, ist der eigentliche Reperaturansatz. Mit der Verzichtserklärung und infolgedessen die Löschung im Grundbuch, steht dem Fiskus des Landes das Recht zur Aneignung des aufgegebenen Grundstücks zu.
5. Akt: das RePair
Der Prozess des Parasiten Parasit ermöglicht es, traditionelle Hierarchien und Kontrollmechanismen zu überwinden und den Raum für experimentelle und alternative Formen der Nutzung zu öffnen.
Durch den erzwungenen Eigentümerwechsel, wird die Politik in die Bredoullie gebracht. Gefordert wird die Liberalisierung des Stadtraums des Grundstücks 284. Neue Entwürfe mit partizipativer Erarbeitung seitens der BewohnerInnen des Bezirks oder des Landes. Dadurch soll der städtische Raum nicht nur physisch, sondern auch kulturell und sozial revitalisiert werden.
Des Parasiten-Parasit ist nicht das RePair selbst, sondern agiert im Vorfeld als Reperaturansatz um das eigentliche RePair erst entstehen zu lassen. Es ist ein Akt der Befreiung und der Provokation, der darauf abzielt, die festgefahrenen Normen und Konventionen herauszufordern.
Missverständnisse und andere Malheure
Anna Gläser
Man könnte meinen, parasit wäre verrückt, doch eigentlich möchte parasit nur dazugehören. Immer aufmerksam, fleißig am beobachten und lernen und trotzdem versteht parasit leider die Welt nicht ganz so wie sie eigentlich funktioniert.
Parasit hat schwierigkeiten mit dem hören und dem einschätzen von größen. war es shell oder hell? oder schnell?
obwohl man wohl leider noch nicht genau weiß, was parasits absichten sind, bin ich mir sicher, dass parasit niemandem etwas böses will.
PLURI.VER.SUM
[pluʀiˈfɔʁm]
vielgestaltig
<<<Ein Kompass für eine grundsätzliche sozial-ökologische Transformation weltweit → Konvivialität (Zusammenleben mit Unterschieden und Vielfalt; eine Gesellschaft, in der individuelle Autonomie und Kreativität vorherrschen)
<<<Eine Welt in die viele passen; mehrere Perspektiven auf die Existenz und vielfältige Formen der Wissensproduktion gibt
<<<Verbindung des Menschen mit anderen Spezies, durch das Sich-Einlassen auf das Nicht-Menschliche
Grundsätze
<<<Alle Objekte erhalten die gleiche Aufmerksamkeit, menschlich, nicht menschlich, natürlich, kulturell, real, fiktiv.
<<<Objekte sind nicht mit ihren Eigenschaften identisch, haben aber eine enge Beziehung zu ihnen. Diese Beziehung ist verantwortlich für alle Veränderungen in der Welt.
Care – Arbeit. Es schließt alles ein, was wir tun, um unsere Welt zu erhalten, fortzuführen und zu reparieren. Eine Form des Reparierens, die oft in erster Linie auf physische und materielle Aspekte reduziert wird. Care-Arbeit umfasst jedoch nicht nur die Reparatur materieller Dinge, sondern auch die Sorge für Menschen, nichtmenschliche Wesen und Ökosysteme.
Ein großer Teil der Care-Arbeit ist die alltägliche Hausarbeit, die Reproduktionsarbeit, eine historisch und kulturell als “weiblich” konnotierte Tätigkeit, für die Frauen über Generationen sozialisiert wurden. Ökonomische Ungleichheiten verschärfen diese Dynamik: – ungleiche Entlohnung der Geschlechter, zu wenig staatliche Unterstützung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Materiell feministische Bewegungen kämpfen gegen die Vorstellung, dass das Zuhause ein Ort ist, an dem Frauen isoliert voneinander arbeiten, und setzen sich für andere, sozialere Formen der Reproduktionsarbeit ein.
Wie lässt sich also die Küche von einem Ort der Marginalisierung in einen Raum des Teilens und möglicher partizipativer und kollektiver Arbeit verwandeln?
Care – Arbeit. Es schließt alles ein, was wir tun, um unsere Welt zu erhalten, fortzuführen und zu reparieren. Eine Form des Reparierens, die oft in erster Linie auf physische und materielle Aspekte reduziert wird. Care-Arbeit umfasst jedoch nicht nur die Reparatur materieller Dinge, sondern auch die Sorge für Menschen, nichtmenschliche Wesen und Ökosysteme.
Ein großer Teil der Care-Arbeit ist die alltägliche Hausarbeit, die Reproduktionsarbeit, eine historisch und kulturell als “weiblich” konnotierte Tätigkeit, für die Frauen über Generationen sozialisiert wurden. Ökonomische Ungleichheiten verschärfen diese Dynamik: – ungleiche Entlohnung der Geschlechter, zu wenig staatliche Unterstützung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Materiell feministische Bewegungen kämpfen gegen die Vorstellung, dass das Zuhause ein Ort ist, an dem Frauen isoliert voneinander arbeiten, und setzen sich für andere, sozialere Formen der Reproduktionsarbeit ein.
Wie lässt sich also die Küche von einem Ort der Marginalisierung in einen Raum des Teilens und möglicher partizipativer und kollektiver Arbeit verwandeln?
Die Wildnis, ein immer wieder neuer Raum. Ein Ort, an dem das Leben in seiner unberührten und rohen Form herrscht. Etwas, was in unserer Gesellschaft als „anders“ bezeichnet wird. Etwas, was zu bändigen und kontrollieren gilt. Es herrscht dort etwas, was sich unserem menschlichen Ordnungsdrang oft entzieht.
Im Gegensatz zu unserer westlichen Gesellschaft, sehen indigene Völker die Wildnis als wichtigen Bestandteil ihres Lebens. Claude Levi-Strauss nennt diese Sichtweise und dieses Wissen auch „spontane Natur“. Der Sturm, der den Baum entwurzelt, schafft Raum für neues. Der verfallene Baumstamm wird zur Heimat von Lebewesen und trägt somit zum Kreislauf des Lebens bei. Das Konzept des Reparierens, das auf den ersten Blick rein technischer Natur erscheinen mag, ist jedoch ein Akt der Wiederherstellung, der das Alte und Beschädigte in einen funktionalen Zustand zurückversetzt.
Reparieren kann aber auch als Loslassen und zulassen von Wildnis bedeuten. Verwilderung, verstanden als bewusste Entscheidung, der Natur Raum zur Wiederaneignung zu geben. Dies steht im Kontrast zum menschlichen Drang alles zu kontrollieren und zu ordnen.
Alles, was von der ehemaligen Tankstelle übrigbleibt, ist der Parasit namens PetraBloom. Dies ist nicht nur ein Zeichen für die Wiederherstellung und Reparatur der Natur, sondern auch für unsere petromaskuline Gesellschaft.
PetraBloom nimmt die verlassenen Strukturen und versiegelten Flächen der Tankstelle in Besitz und transformiert sie in einen neuen Lebensraum für eine Wildnis.